Die Arbeitswelt ist in Bewegung

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Serie Veränderungen Teil 1: Unsicherheiten und Druck nehmen zu. Wir müssen flexibler werden– als Mitarbeiter. Und als Unternehmen.

Es ist egal, was du gelernt hast. Es ist egal, was du tust. Nur: Tue es schnell und stelle dich ständig auf Neues ein. Schnelligkeit und Beliebigkeit lauten die Maximen der heutigen Arbeitswelt. „MP3-Kapitalismus“ nennt der berühmte US-Soziologe Richard Sennett die neue Wirtschaftsform. Herrschten früher Unternehmen noch autoritär über ihre Mitarbeiter, würden im neuen Kapitalismus die Pyramiden der strengen Hierarchie abgetragen. Doch die flachen Hierarchien brächten nicht mehr Freiheit für die Mitarbeiter – sondern Angst und Unsicherheit.
Mit der Globalisierung in den vergangenen zwei Jahrzehnten sei der Druck auf Unternehmen gestiegen, sagt Karin Steiner, Soziologin und Chefin des Forschungszentrums abif. „Diesen Druck geben sie an die Mitarbeiter weiter.“ Seit der Wirtschaftskrise 2008 hat sich die Lage verschärft. Stellen werden gestrichen, das Arbeitspensum wächst, Stress und Unsicherheit gehören zum Joballtag. Klingt trist und ist es auch – wenn der Mensch es nicht schafft, mit dem Umbruch umzugehen.
Der Mitarbeiter muss also flexibel sein. „Doch die Unternehmen können nicht nur Flexibilität von den Mitarbeitern einfordern, sie müssen auch ihnen gegenüber flexibler werden“, kritisiert Steiner. Auszeiten, Bildungskarenz, die Reduktion der Arbeitszeit würde den Mitarbeitern in der Realität viel zu wenig gewährt. „Die Arbeit wird den Lebensbedingungen der Menschen oft noch nicht gerecht“, so die Soziologin. Umgekehrt könnten immer weniger Menschen den Anforderungen der Arbeitswelt gerecht werden. Mit brutalen Folgen, die vor 20 Jahren noch kaum denkbar waren: Wer nicht mit dem Tempo des Wandels mithalten könne, sei rasch weg vom Arbeitsmarkt.


Im Widerstand

Die Krux ist: Veränderung erzeugt Widerstand. Immer. Eine gesunde Reaktion der Psyche, um sich später auf den Wandel einstellen zu können. Wie Mitarbeiter auf Veränderung reagieren, beschreibt der deutsche Experte Eike Wagner im Buch „Das Change Factory Prinzip“:
1. Schock Der Verlust von gewohnten Arbeitsweisen, Strukturen, Kollegen löst beim Mitarbeiter einen Schock aus.
2. Verneinung Die Mitarbeiter verdrängen die Veränderung, machen weiter wie bisher. Führungskräfte sollen den Mitarbeitern die Dringlichkeit der Veränderung vor Augen zu halten.
3. Widerstand oder das „Tal der Tränen“: Den Mitarbeitern wird bewusst, dass sie Altes loslassen und das Neue akzeptieren müssen. Sie reagieren mit Wut, Frust, Sabotage. Die Führungskräfte sollten Verständnis zeigen und zuhören.
4. Anpassung Noch herrscht Unsicherheit vor – es werden Fehler gemacht, aber man arrangiert sich mit dem Neuen. Gegen Überforderung und Demotivation braucht es Weiterbildung und Coaching.
5. Commitment Die Mitarbeiter verinnerlichen die neuen Strukturen, Routine setzt ein.

Mehr Arbeit, weniger Personal

Diese Entwicklung führt zu einer massiven Zunahme der psychischen Belastungen in der Arbeitswelt, wie eine aktuelle Studie des Wifo und der Donau-Uni Krems im Auftrag der AK Wien zeigt. Ein Drittel der unselbstständig beschäftigten Männer und ein Viertel der Frauen gibt an, dass ihr psychisches Wohlbefinden durch Überbeanspruchung im Job beeinträchtigt sei. Auch wurde laut Statistik Austria jede fünfte Überstunde 2011 nicht entlohnt oder durch Zeitausgleich kompensiert. Im dritten Quartal 2012 wurden von den Österreichern 74 Millionen Überstunden geleistet.

Ohne Vollzeitjob

1,5 Millionen Österreicher, etwa ein Drittel der Beschäftigten, sind atypisch beschäftigt, sie arbeiten also in keinem Vollzeitjob, sondern in Teilzeit, geringfügig oder befristet.
Auffällig ist die steigende Teilzeitquote: Bei den Männern stieg sie von 6,1 Prozent im Jahr 2005 auf 8,9 Prozent im Jahr 2011, bei den Frauen von 39,3 auf 44 Prozent im selben Zeitraum. Was Frauenrechtlerinnen empört, sieht Soziologin Karin Steiner nicht ausschließlich negativ: „Dadurch ist auch die Erwerbsquote der Frauen gestiegen.“ Und für manche – auch Männer – bedeute Teilzeitarbeit mehr Zeit für Familie.

Neue Führung

Die Krise hat den Führungsstil in den Unternehmen verändert. Laut Hay Group-Studie „Best Companies for Leadership“ aus dem Jahr 2011 setzen Unternehmen stärker auf den kooperativen, hierarchieunabhängigen Führungsstil. Es gibt weniger Hierarchieebenen, Mitarbeiter haben mehr Recht auf Mitbestimmung, in diversen Branchen sind sie mittlerweile am Gewinn beteiligt. Selbstorganisation in Unternehmen wird zunehmend Thema: Teams arbeiten selbstbestimmt ohne Vorgesetzte, manche radikale Firmen wie der US-Tomatenverarbeiter Morning Star kommen ganz ohne Führungsriege aus.

Lebensbrüche

Mehr Menschen drängen auf den Arbeitsmarkt, mehr werden arbeitslos: Im Dezember erreichte die Arbeitslosigkeit in Österreich mit 385.981 Arbeitslosen (inkl. Schulungsteilnehmer) einen Nachkriegsrekord. Die Anzahl der Beschäftigten stieg von 2009 um vier Prozent auf 3,432 Millionen.
War es früher verpönt, ohne Job zu sein, ist es heute nichts Ungewöhnliches mehr: „Kurze Perioden der Arbeitslosigkeit gehören heute zum Berufsleben dazu“, sagt AMS-Chef Johannes Kopf. Auch sind die Phasen der Arbeitslosigkeit tendenziell kürzer als noch vor einigen Jahren.

Flexibilität

Die Grenzen von Arbeit und Freizeit verschwimmen zusehends: Laut der Studie „Flexible Working“ von Deloitte finden 78 Prozent der österreichischen Führungskräfte, dass sich Arbeitgeber mit flexibler Arbeitsgestaltung (Home Office, flexibel Arbeitszeiten) attraktiver machen. Umgesetzt würde das in den Unternehmen zu wenig.
Die Schattenseiten der Entgrenzung zeigt die deutsche DGB-Umfrage: 27 Prozent der Befragten müssten demnach häufig oder oft in der Freizeit für die Firma erreichbar sein. Fast jeder Siebente (15 Prozent) arbeite sehr häufig oder oft in der Freizeit unbezahlt.

Claudia Poje berät als Arbeitspsychologin Führungskräfte und Mitarbeiter zu Stress- und Konfliktvermeidung und hält Mitarbeiterseminare ab.

KURIER: Wo sehen Sie die größten Veränderungen der Arbeitswelt, mit denen sich die Mitarbeiter auseinandersetzen müssen?
Claudia Poje:
Die Tätigkeiten ändern sich schneller, die Umstellung auf Innovationen ist massiv, die Anforderungen werden insgesamt höher. Von den Leuten wird erwartet, dass sie hundert Prozent oder mehr leisten – und das an jedem Tag. Was früher drei Personen gemacht haben, macht jetzt einer – das wird oft mit dem technischen Fortschritt begründet. Und man erwartet sich beispielsweise von einem Security den Maturaabschluss. Da fragt man sich schon, ob das notwendig ist.

Laut AK-Wien-Studie sind ein Drittel der Männer und ein Viertel der Frauen durch Stress im Job psychisch beeinträchtigt. Können Sie das nachvollziehen?
Zumindest wird jetzt mehr darüber gesprochen. Stress ist ein Phänomen der Leistungsgesellschaft, aber auch selbst erzeugt. Ein richtiges Burn-out haben aber die wenigsten.

Wer ist gefährdet?
Das betrifft eher Jobs mit viel Handlungsspielraum, junge Leute, die sich zu stark reinknien. Die Frage ist: Inwieweit kann ich den Stress vorhersehen? Wenn ich mich darauf einstellen kann, kann ich auch besser damit umgehen. Menschen, die sich hilflos ausgeliefert fühlen, empfinden Stress als schlimmer, als jene, die selbst über ihre Arbeitsabläufe bestimmen können. Auch wenn die Tätigkeit sinnvoll ist, empfindet man weniger Stress. Hier spielen die Persönlichkeit und die die emotionale Stabilität eine Rolle.

Wie gehen Unternehmen damit um?
Es gibt die betriebliche Gesundheitsförderung, meist vereinzelte Projekte. Aber wenn ich Mitarbeiter erst auspresse wie eine Zitrone und ihnen dann ein Apferl in die Hand drücke, bringt das nichts. Das muss ganzheitlich vom Unternehmen kommen. Aber auch die Unternehmen sind gewaltigem Druck ausgesetzt, um konkurrenzfähig zu bleiben. Die Mitarbeiter müssen dann mithalten.

Wird sich dieses Phänomen künftig verschärfen?
Ich fürchte, ja. Die Menschen werden depressiver, Werte und Motivation gehen verloren. Die psychischen Belastungen nehmen zu – eine Wechselwirkung aus Arbeit und Privatleben.

Was raten Sie den Unternehmen zur Stressprävention?
Zuerst evaluieren, wo Stressbelastungen liegen. Die Lösung liegt immer bei den Mitarbeitern. Die Mitarbeiterorientierung ist noch nicht so verbreitet. Man muss sie teilhaben lassen, sie fragen, was sie brauchen – ob mehr Handlungsspielraum oder Gleitzeit. Auch sollte Enthusiasmus nicht zu sehr gefördert werden – die Tüchtigen bekommen dann noch mehr draufgedrückt. Und die Führungskräfte müssen hin zu einer Vertrauenskultur.

Was kann der Einzelne tun?
Es ist wie bei einem Sparbuch. Wenn ich Erholungsphasen habe, kann ich eine Zeit lang über die Grenzen gehen. Aber ich darf nicht in den Minusbereich kommen. Man sollte sich bewusste Auszeiten vom Job nehmen, seine Sozialkontakte pflegen, gezielt in der Freizeit Energie tanken, Sport als Ausgleich betreiben.

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